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Todesfälle nach Propofolsedierung – Gerichtsentscheidungen

Führung der Sedierung – eine ärztliche Aufgabe

Die Führung einer Sedierung/Analgosedierung („Dämmerschlaf“) ist Erheben von Befunden durch Beobachtung von Messgrößen (zum Beispiel an Monitoren), Interpretation der Befunde („Diagnose“), gefolgt von therapeutischen Maßnahmen („Therapie“), gefolgt von Überprüfung, ob die ergriffenen Maßnahmen das gewünschte Therapieziel erreicht haben („Erfolgskontrolle“). Die Führung einer Sedierung bei Endoskopien ist somit eine typische, neben der Durchführung der endoskopischen Untersuchung/Operation eigenständige, ärztliche Aufgabe. Die S3-Sedierungsleitlinie hierzu:1

  • „Sowohl der diagnostische oder therapeutische Eingriff als auch die Sedierung sind eigenständige medizinische Verfahren.“

Der die endoskopische Operation durchführende Arzt kann die ärztliche Aufgabe Sedierung nicht in Doppelverantwortung, neben der technisch überaus anspruchsvollen endoskopischen Untersuchung/Operation übernehmen. Die S3-Sedierungsleitlinie hierzu:2

  • „Ein Arzt kann nicht in Personalunion zur gleichen Zeit den invasiven Eingriff durchführen und die Sedierung und/oder das Analgesieverfahren überwachen.“


Die bei Analgosedierung verwendeten Sedierungs-, Anaesthesie- und Schmerzmedikamente bergen die Gefahr Schutzreflexe auszuschalten, Vitalfunktionen des Körpers einzuschränken, sogar aufzuheben. Ohne Stützung der Vitalfunktionen, ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen drohen – innerhalb weniger Minuten - Atemstillstand, gefolgt von Kreislaufstillstand. So ist es Aufgabe des die Sedierung führenden Arztes die Vitalfunktionen nicht nur zu beobachten, sondern diese zuverlässig aufrechtzuerhalten.

  • „Unter dem Begriff „Vitalfunktionen“ werden die lebenswichtigen Vorgänge zusammengefasst also in erster Linie die Funktion von Zentralnervensystem, Atmung, Herz- und Kreislauf.
  • Zu den Schutzreflexen zählen insbesondere der Husten- und Schluckreflex, die vor Aspiration (Einlaufen oder Einatmen von Mageninhalt oder von Magen- Rachensekreten in die Lungen) schützen ...“3

Weil die Beobachtung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen so entscheidend für die Sicherheit der Patienten ist, betont die S3-Sedierungsleitlinie ausdrücklich, dass diese Aufgabe nicht von dem die endoskopische Untersuchung/Operation durchführenden Arzt in Doppelverantwortung miterledigt werden kann – und liefert in diesem Zusammenhang die medizinisch plausible Begründung für das Tätigwerden eines weiteren Arztes: Die S3-Sedierungsleitlinie hierzu:4

  • „Der endoskopierende Arzt ist während der Durchführung der Endoskopie in aller Regel nicht in der Lage, den Vitalfunktionen des Patienten die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.“


Weil der die endoskopische Operation durchführende Arzt den Vitalfunktionen des Patienten nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken kann, ist es medizinisch plausibel, dass das Sedierungsverfahren von einem weiteren Arzt, nur mit dieser Aufgabe betraut, geführt wird:
Die Auswahl der Sedierungsmedikamente (Einleitungsdosis, Wiederholungsdosis) erfolgt, kann nur erfolgen, in Abhängigkeit der bei Überwachung der Vitalfunktionen erhobenen Befunde. Die Kopplung der Überwachung der Vitalfunktionen an die Führung des Sedierungsverfahrens gilt ebenfalls für die Gabe von die Vitalfunktionen stützenden (Kreislauf-) Medikamenten, für Sedierungswirkung aufhebende Medikamente (Antagonisten) und für Maßnahmen, wie zum Beispiel die Unterstützung einer unzureichenden Spontanatmung: auch diese Maßnahmen werden ergriffen in Abhängigkeit von den bei Überwachung der Vitalfunktionen erhobenen Befunden.

 

Um Patienten vor den bekannten, typischen Gefahren – hier vor allem die zu Sauerstoffmangelversorgung führende Atem- und Kreislaufdepression - zu schützen, wird das „eigenständige medizinische Verfahren“ Sedierung nicht von dem endoskopisch operierenden Arzt in Doppelverantwortung miterledigt, sondern von einem zweiten, zusätzlichen Arzt wahrgenommen – so wie ein Chirurg, selbst bei einem Kurzeingriff in Anaesthesie, die Narkose nicht in Doppelverantwortung miterledigt; mit Führung der Anaesthesie ist ein zweiter Arzt, der Anaesthesist, betraut.

Leitlinie der Fachgesellschaften: Sedierung durch 2. Arzt:

In der S3 Sedierungsleitlinie wird die Qualifikation der die Sedierung führenden Person explizit beschrieben:5

  • „Nicht der den Eingriff durchführende Arzt, sondern eine speziell geschulte, in der Regel ärztliche Person sollte verantwortlich sein für das Sedierungsverfahren und die Überwachung der Vitalfunktionen.“ (Anm.: Hervorhebung nicht im Original)

 

Herstellerangaben: Propofolsedierung durch 2. Arzt

Diese medizinisch wohl begründete Vorgabe - „in der Regel ärztliche Person“ - entspricht den Vorgaben der Hersteller: Für die Verwendung des intravenösen Anaesthetikum Propofol ist dies ausdrücklich in den Herstellerinformationen festgehalten: in der Produktinformation heißt es:6

  • „Propofol … darf nur in Krankenhäusern oder in adäquat ausgerüsteten anderen Einrichtungen von anästhesiologisch bzw. intensiv-medizinisch ausgebildeten Ärzten verabreicht werden.
  • Die Sedierung mit Propofol … bei diagnostischen und chirurgischen Maßnahmen und die Durchführung der diagnostischen oder chirurgischen Maßnahmen dürfen nicht von derselben Person erfolgen.” (Anm.: Hervorhebungen nicht im Original)

 

Rechtskräftige Gerichtsentscheidungen

Inzwischen liegen rechtskräftige Gerichtsentscheidungen vor, in denen es um Todesfälle bei und nach (endoskopischen) Operationen ging, in denen der Operateur – im Widerspruch zu den Empfehlungen, Leitlinien, Herstellerinformationen – für die Analgosedierung unter Verwendung von Propofol, auf die Zuziehung eines 2. Arztes verzichtet hatte und diese ärztliche Aufgabe in Doppelverantwortung, neben der Operation, miterledigte.

Urteil des LG München I (2006)7

Im Lehrbuch „Der Narkosezwischenfall“8 wird das rechtskräftigen Urteils des LG München I besprochen: in dem von dem Gericht entschiedenen Fall ging es um eine tödlich endende Propofolgabe durch einen einzigen Arzt, ein Gynäkologe, der gleichzeitig den operativen Eingriff vornahm und darauf verzichtet hatte, einen 2. Arzt mit der Überwachung der Patientin unter Propofol zu betrauen:8

  • „Der Angeklagte führte den Eingriff in seinen Praxisräumen ohne Hinzuziehung eines weiteren Kollegen, insbesondere eines anästhesiologisch oder intensivmedizinisch ausgebildeten Arztes, durch. Der Angeklagte hätte insoweit erkennen können und müssen, dass nach den Regeln der ärztlichen Kunst, insbesondere auch laut der Gebrauchsinformation des Herstellers von Propofol, dieses Anästhetikum nur in Krankenhäusern oder in adäquat ausgerüsteten Tageskliniken von anästhesiologisch bzw. intensivmedizinisch ausgebildeten Ärzten verabreicht werden darf.“
  • „Hätte der Angeklagte bei der Operation einen entsprechend ausgebildeten Arzt zur Überwachung der Vitalparameter hinzugezogen und wäre seine Praxis apparativ ausreichend ausgestattet gewesen, wäre es nicht zu dem Atemstillstand, dem daraus resultierenden hypoxischen Hirnschaden und nicht zum Tode der Patientin gekommen.“
  • „Weil der Gynäkologe seine Praxis über 4 Jahrzehnte geführt hatte, ohne strafrechtlich in Erscheinung getreten zu sein, und zudem seine Praxis kurz nach dem Zwischenfall aufgegeben hatte, außerdem ein „umfassendes und von Reue getragenes Geständnis abgelegt", sein tiefes Bedauern in einem „persönlich gehaltenen, an den Ehemann des Opfers gerichteten Brief ausgedrückt" hatte, kommt die Strafkammer des LG zu dem Ergebnis, die Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten zur Bewährung auszusetzen.“

 

Urteil des AG Augsburg v. 21.11.2013 – 08 Ls 200 Js 112337/09

Gatroskopie und Koloskopie ohne zweiten Arzt9
"Das Amtsgericht Augsburg hat einen Gastroenterologen nach einer Sedierungs-Komplikation mit Todesfolge zu einer Freihheitsstrafe verurteilt, weil dieser keinen zweiten Arzt zur Überwachung hinzugezogen hatte."

„Sedierungen ohne zweiten Arzt sind gefährlich: Für den Patienten, aber auch für den Arzt. Wer z.B. meint, Propofol für Sedierungen verwenden zu können, ohne die Herstellerinformation oder die einschlägige S 3-Leitlinie einzuhalten, lebt gefährlich, weil er im Schadensfall nicht nur eine zivilrechtliche Verurteilung zu Schadensersatz und Schmerzensgeld, sondern auch eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung oder sogar Körperverletzung mit Todesfolge riskiert.

Das nachfolgend wiedergegebene Urteil des Amtsgerichts Augsburg betrifft einen Extremfall. Es stellt aber auch für alltägliche „Standardsedierungen" eine deutliche Warnung dar. Die Gerichte erkennen bei Sedierungszwischenfällen zunehmend die zugrunde liegende strukturelle Problematik, d.h. die schadensstiftende personelle Unterversorgung des Patienten. Sedierungszwischenfälle werden damit nicht mehr als schicksalhaft akzeptiert. Der medizinisch vorgegebene Sedierungsstandard wird juristisch nachvollzogen - durch Verurteilung der Ärzte, die diesen Standard zum Nachteil ihrer Patienten verfehlen.“


Sedierung bei Endoskopie nur mit zweitem Arzt oder geschulter Pflegekraft
(mit Anmerkung von Tim Neelmeier) 10
„Bei der Sedierung, insbesondere bei der Gastroskopie ist der den Eingriff durchführende Arzt verpflichtet, eine zwei­te, in der Regel ärztliche Person hinzuzuziehen, die für das Sedierungsverfahren und für die Überwachung der Vital­funktionen verantwortlich ist. Wird ein Sedierungsgrad er­reicht, bei dem lebenserhaltende Reflexe beeinträchtigt werden, darf der Eingriff nur fortgesetzt werden, wenn ein Anästhesist hinzugezogen wird.“

1 S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ 2008 (AWMF-Register-Nr.021/014) Riphaus et al (2008) Z Gastroenterol 46: 1318

2 S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie" 2008 (AWMF-Register-Nr. 021/014) Z Gastroenterol 2008; 46: 1318

3 Ärztliche Kernkompetenz und Delegation in der Anästhesie. Anaesth Intensivmed 2007; 48: 712-714
Zum Artikel

4 S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ 2008 (AWMF-Register-Nr.021/014). Riphaus et al (2008) Z Gastroenterol 46: 1319

5 S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie" 2008 (AWMF-Register-Nr. 021/014) Z Gastroenterol 2008; 46: 1318

6 Ehlers APF, Bitter H (2006) Delegierung der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal. Endo heute 19: 139-143

7 AG München, Urt. v. 13.122005 - 824 Ds 125, ArztR 2007, 69, rechtskräftig durch LG München 1, Urt. v. 26.7.2006 - 16 Ns. 125, ArztR 2007, 73 m. Anm. Schulte-Sasse/Bruns, ArztR 2007, 116.
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8 Schüttler J, Biermann E (2010) Der Narkosezwischenfall, 2. Auflg., Thime S. 197-199

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9 Bruns W (2014), Gastroskopie und Koloskopie ohne zweiten Arzt. ArztR 49:117–125
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10 Zeitschrift VersR 2014, Heft 17, AG Augsburg: Sedierung bei Endoskopie nur mit zweitem Arzt oder geschulter Pflegekraft (mit Anmerkung von Tim Neelmeier)
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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