


Warnung vor dem muskelerschlaffenden Medikament Succinylcholin
Einen wichtigen allgemeinen Risk-Management Beitrag konnte Prof. Schulte-Sasse mit Hilfe der beim Betrieb der MH Hotline gesammelten Informationen bezüglich eines bestimmten Medikamentes – es handelt sich um das muskelerschlaffende Medikament Succinylcholin – beisteuern. Erkenntnisse aus dem Betrieb des Beratungsdienstes haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dies ist die oberste deutsche Medikamentenbehörde, veranlasst, vor der Anwendung dieses früher häufig benutzten Anaesthesiemedikamentes bei Kindern dringend zu warnen. Diese Warnung ist inzwischen in die Lehrbücher des Fachgebietes übernommen worden, mit der Folge, dass Succinylcholin heute weit weniger als noch vor Jahren verwendet wird.
Berichte über lebensgefährliche Nebenwirkungen und Warnungen vor Succinylcholin bei Kindern kamen nicht erst aus Heilbronn, immer wieder einmal – über Jahrzehnte – wurde von überraschenden Herzstillständen berichtet. Diese Berichte und Warnungen fanden aber keine große Beachtung, man glaubte es handele sich um Einzelfälle. Und es war DER entscheidende Vorzug einer Einrichtung wie der Heilbronner Notfallzentrale, mit dem eine Änderung in der klinischen Praxis bewirkt werden konnte. Die große Zahl der in Heilbronn unaufgefordert eingehenden Beobachtungen machte deutlich, dass es sich bei dem Problem keinesfalls um extrem seltene Einzelfälle handelte.
Die Analyse dieser vielen Einzelfälle ließ gemeinsame Wirkmechanismen erkennen und erlaubte es Prof. Schulte-Sasse Empfehlungen für die zukünftige Vermeidung der Komplikation auszusprechen. Damit hat sich die Maligne Hyperthermie Hotline als ein wirkungsvolles Instrument in dem heute so betonten Risiko Management bewiesen.
Die gleichen Erfahrungen haben Anaesthesisten in den USA gemacht (Malignant Hyperthermia Association of the United States), die dort die Maligne Hyperthermie hotline betreiben, mit denen Prof. Schulte-Sasse in einem engen beruflichen und freundschaftlichen Kontakt steht. Ihre Beobachtungen haben die oberste US-amerikanische Medikamentenbehörde, die FDA, veranlasst vor dem Medikament zu warnen, und auch dort ist der Gebrauch von Succinylcholin deutlich zurückgegangen.
Dem Ziel einer Narkosesterblichkeit von „Null“ einen Schritt näher kommen
In der Diskussion um den Vorschlag von Prof. Schulte-Sasse, auf Succinylcholin bei Kindern1, ein seit Jahrzehnten täglich verwendetes Medikament in der Routine zu verzichten, tauchte die Frage auf, ob denn die lebensbedrohlichen Anaesthesiekomplikationen nicht so selten – ja schicksalhaft – sind und es sich nicht lohnt, deswegen traditions-abgesegnete Verfahren zu verlassen. Dem ist zu begegnen, dass die wahre Zahl der Maligne Hyperthermie Unglücke oder der Succinylcholin-Herzstillstände bei Kindern unbekannt ist. Keinesfalls gelangt jede dieser Komplikation über Fallberichte der Fachöffentlichkeit zur Kenntnis. Die in den Fachbüchern mitgeteilten Häufigkeitsangaben können lediglich die sprichwörtliche Spitze des Eisberges beschreiben.
Die Narkosesterblichkeit ist heute außerordentlich niedrig und bei solch guten Ergebnissen könnte der Gedanke aufkommen, es lohne nicht mehr, sich weitere Gedanken zu machen. Dieser Ansicht kann sich Prof. Schulte-Sasse nicht anschließen und in der anaesthesiologischen Literatur heißt es hierzu unmissverständlich: das vornehmste Ziel jeglichen "Risk-management" ist die Abwendung einer Patientenschädigung. Mit dem Betrieb der Informationszentrale konnte Prof. Schulte-Sasse dem im Unendlichen liegenden Ziel einer Narkosesterblichkeit von "Null" einen Schritt näher kommen.
1 Schulte-Sasse U. Herzstillstand bei Kindern nach intravenöser Injektion von Succinylcholin. Der Kinderarzt 26 (1995), S. 1446 - 1448