


Rechtliche an wirtschaftliche Verantwortungsstrukturen anpassen
"Die Politik hat gezielt einen Verdrängungswettbewerb unter den medizinischen Leistungserbringern initiiert. Dieser Wettbewerb braucht klare Regeln, die gegenüber den Entscheidungsträgern in Kliniken und Praxen auf allen Organisationsstufen durchgesetzt werden müssen. Hierzu bedarf es auch der Mittel des Strafrechts, wenn durch erhebliche Mängel in der personellen oder apparativen Infrastruktur Patienten vorhersehbar zu Schaden gekommen sind. Justiz und ärztliche Sachverständige sind aufgerufen, sich als Bundesgenossen einer schleichenden Reduzierung des Versorgungsstandards zu widersetzen
und auf diese Weise Wettbewerbsnachteilen für qualitätsorientierte Anbieter entgegenzutreten."
Zitiert aus: Neelmeier T., Schulte-Sasse U. (2012) Hypoxie durch Organisationsverschulden. Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 22:406–414
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Ausführlich hierzu:
Organisationsverschulden patientenferner Entscheider
und einrichtungsbezogene Aufklärung
T.Neelmeier | Schriften zum Medizinstrafrecht, Bd. 1, Nomos 2014
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Neelmeier T., Schulte-Sasse U. (2012) Hypoxie durch Organisationsverschulden. Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 22:406–414
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Justiz und ärztliche Sachverständige als Bundesgenossen
"Die Vizepräsidentin des BGH Müller beschrieb den Paradigmenwechsel schon 2008 in ihrem Beitrag „Arzthaftungsrecht in Zeiten knapper Kassen“ [51]. Zwar gelte in der deutschen Rechtsprechung der Grundsatz, wonach aus wirtschaftlichen Erwägungen keine Abstriche gemacht werden dürften vom gebotenen Mindeststandard. Aus den Reihen der Leistungserbringer drohe jedoch eine ökonomisch motivierte „schleichende Reduzierung des Standards“, also ein Qualitätsunterbietungswettbewerb. Dem müsse die Justiz begegnen durch erhöhte Wachsamkeit und verstärkte Kooperation mit den Medizinern, die die „Haftungsrichter zunehmend als Bundesgenossen zur Aufrechterhaltung des Standards betrachten“. Dazu passend fordert Stüwe (Chefredakteur Deutsches Ärzteblatt) einen „Rechtsrahmen, der Wettbewerb um Qualität ermöglicht und fördert. Der wird zwar häufig beschworen, aber wo ist er Realität?“ [76]."
Zitiert aus: Hypoxie durch Organisationsverschulden
Springer-Verlag 2012 | Neelmeier T., Schulte-Sasse U.: Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 2012; 22: 406-413
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Literaturfundstellen in Original-Arbeit
Ein Fortentwicklungsbedarf des medizinischen Haftungsrechts – nicht nur – aber auch in strafrechtlicher Hinsicht ist gegeben
„Wird erkennbar, dass die für den Krankenhausbetrieb oder eine einzelne Abteilung empfohlene oder vorgeschriebene personelle bzw. sachliche Mindestausstattung nicht mehr gewahrt ist, um die Gefährdung des Patienten auf das noch tolerierbare Maß zu senken“1, dann ist es ärztliche Pflicht das Leistungsvolumen an die tatsächlich gegebene quantitative und qualitative personelle Infrastruktur in der Klinik, in der Praxis anzupassen. Das Einlösen dieser dem Patienten geschuldeten Pflicht bietet überreichlich Gelegenheit zu kontroverser Diskussion zwischen patientennahen und -fernen Entscheidern, wenn es heute „nur noch um Tempo und Geld geht, um Einsparungen, um Effektivität“2. Kann der die Patientensicherheit verteidigende Arzt auf ein entsprechendes Gerichtsurteil verweisen, dann gewinnt seine Argumentation gegenüber den für Infrastruktur und Organisation verantwortlichen, gelegentlich beratungsresistenten Entscheidern an „Überzeugungskraft“, wenn sich in dem Urteil nicht nur Ausführungen zur Verantwortung des beklagten Arztes und des „Trägers“ finden, sondern auch solche zur persönlichen Verantwortung derer, die Patienten gefährdende Personal- und Organisationsstrukturen und „Produktions“-Quoten vorgegeben haben3. Es ist der Sicherheit der Patienten dienlich, wenn künftig generalpräventiv auch das Tun der „Täter hinter den Tätern“ in Arzthaftungsprozessen gewürdigt würde4. Vor diesem Hintergrund besteht unzweifelhaft ein Fortentwicklungsbedarf des medizinischen Haftungsrechts – nicht nur, aber auch in strafrechtlicher Hinsicht.5
1 Ulsenheimer K. | Zur Diskrepanz zwischen dem optimalen medizinischen Standard, dem ökonomisch Möglichen und dem rechtlich Gefor derten – der Anästhesiologe im Widerstreit gegensätzlicher Pflichten.
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Mit freundlicher Genehmigung der Schriftleitung
"Anaesth Intensivmed"
2 Vgl. Leidner, Deutsches Ärzteblatt 2009; B 1242
3 Vgl. Schulte-Sasse U. Der Täter hinter dem Täter. ArztR 2010; 45: 200-20
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4 Vgl. hierzu zuletzt auch die bislang noch unveröffentlichte Entscheidung BGH 5 StR 18/10 zum spektakulären Fall eines Todeseintritts nach polizeilichem Brechmitteleinsatz, in dem der Senat im Zusammenhang mit der Aufhebung des Freispruchs des wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Arztes für die Sanktionswahl im neuen Verfahren darauf hinweist, dass eine „strafrechtliche Verantwortlichkeit (…) von Organisatoren (sc.: des Beweismittelsicherungsdienstes) und anderen Mitwirkenden mit deutlich höherem Schuldgehalt greifbar nahe liegt“.
5 Kudlich H, Schulte-Sasse U. "Täter hinter den Tätern" in deutschen Krankenhäusern? Strafbarkeit von "patientenfernen" Entscheidern in Gesundheitseinrichtungen bei organisationsbedingten Patientenschäden. NStZ 2011,
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