


Produktionsdruck im Operationssaal gefährdet Patienten 12
Analysen von Unglücken im Schwerlastverkehr, im Zivilflugverkehr, in der Fährschifffahrt bringen immer wieder ans Licht, dass in solchen „gefahrengeneigten“ Unternehmungen Druck („production pressure“) auf das Personal existiert, um vorgegebene Produktionsziele zu erreichen und zu übertreffen, um Gewinne zu erzielen und zu steigern - auf Kosten von Sicherheitserwägungen3.
Produktionsdruck („production pressure“) gefährdet inzwischen auch unsere Patienten im Operationssaal, dort wo in Gegenwart unzureichender Finanzierung, um Erlöse dennoch zu erzielen, Sicherheitserwägungen (z.B. Qualifikation des Anaesthesisten – Arzt vs. Schwester; Weiterbildungsanfänger vs. Facharzt) dem Erreichen eines Produktionszieles (z.B. geplantes OP-Programm, vereinbarte Fallzahlen, Saalauslastung, Wechselzeiten) untergeordnet werden. In unseren Operationssälen geht es inzwischen darum „immer mehr Patienten, immer schneller, mit immer geringerem personellen und apparativen Aufwand“ durch ein OP-Programm zu schleusen4. Der resultierende „production pressure“ wird als „near fanatic“, als „dramatic“, als „incredible“ beschrieben und von Ärzten und Schwestern im Operationssaal erlebt.
Geschäftsführung und Klinikleitung vereinbaren inzwischen mit OP-Managern Operationssaalauslastungen und Wechselzeiten, geplante Fallzahlen und damit zu erwartende Erlöse; solche „Kennzahlen“ werden als „wesentliche“ Ziele den Mitarbeitern kommuniziert, deren Einhaltung kontrolliert. Bei der Kommunikation solcher den Erlös sichernden Zielvereinbarungen bleibt das Wort Sicherheit - wiederholt – unerwähnt: „hospital managers and even medical staff appear more preoccupied with survival in the marketplace than with survival of their patients“ – beklagt Schiff5.
Bonuszahlungen für Einhaltung von gefährlichen Zielvereinbarungen
„Wer ökonomisch überleben will braucht Fälle“6 - in dieser Logik ist es nur folgerichtig, wenn Betreiber von Gesundheitseinrichtungen ihren ärztlichen und nicht-ärztlichen Klinik-Managern aufgeben: „In unseren Kliniken steigern wir konsequent die Fallzahlen, um die Standorte langfristig abzusichern“, wenn Geschäftsführer in der Betriebsordnung für ein Ambulanten Operationszentrums festlegen: „Die Abläufe müssen auf Zeit organisiert werden; Standards werden an der Untergrenze definiert“ (das Wort Sicherheit bleibt in der Betriebsordnung unerwähnt).
Damit solchen oft mit dem Adjektiv „ehrgeizig“ verbundenen Unternehmenszielen tatsächlich schwarze Zahlen in der Jahresbilanz folgen, ist es heute mehr und mehr üblich mit leitenden Ärzten, aber auch Oberärzten und OP-Managern „Zielgespräche“ zu führen, bei denen Ziele vereinbart (oder auch: vom Management vorgegeben) werden, deren Erreichen an die Auszahlung des variablen Anteils der Jahresvergütung gekoppelt ist. Die inzwischen wöchentlichen/monatlichen an Leiter von Krankenhaus-Fachabteilungen gerichteten Aufforderungen, die im Unternehmensplan vorgegebenen Leistungszahlen durch tatsächlich behandelte Fälle im OP - in rascher Wechselfolge bei hoher OP-Saalauslastung - in Fallzahl steigernde, den CMI-Index erhöhende und damit Erlöse sichernde Jahresabschluss-Wirklichkeit umzusetzen, haben das erhebliche Potential die Patientensicherheit zu gefährden.
Vor dem Hintergrund der Bankenkrise ist doch gerade überdeutlich geworden, wie viel Schaden mit allein am kurzfristigem Gewinn ausgerichteten, mit Druck durchgesetzten Zielvereinbarungen angerichtet werden kann: „Am Montagmorgen hat der Kundenberater sein wöchentliches Zielgespräch … und dieses Gespräch kann unangenehm werden. Wöchentlich, mitunter täglich, werden die elektronisch dokumentierten Vertriebserfolge mit den vorgegebenen Zielen abgeglichen. Erfahrene Kundenberater wissen all dies. Oft haben sie ein schlechtes Gefühl.“7
Nicht nur Kundenberater, auch erfahrene Oberärzte haben oft ein schlechtes Gefühl, wenn sie versuchen vorgegebene Operationsprogramme, die tatsächlich verfügbare Personalressourcen und belegbare Intensivbetten unberücksichtig lassen, unter hohem Produktionsdruck „durchzuziehen“, nachdem in (ebenfalls unangenehmen) Zielgesprächen mit der Geschäftsführung die Anzahl der Eingriffe, die effektive Saalauslastung sowie die Reduktion der Naht-Schnittzeit als Qualitäts (sic) Indikatoren benannt und als umzusetzende Ziele vereinbart wurden.
Wenn Ärzte mehr mit dem Überleben am Markt als mit dem Überleben ihrer Patienten befasst sind
Ärzte erleben hier wiederholt einen Konflikt zwischen „BGH definierter Rechtsposition zur Behandlungsqualität“ und in Zielvereinbarungen festgelegten „Zielgrößen ökonomischen Denkens“. Der Abschiedsbrief eines Chefarztes spiegelt diese nur in den Marketing-Auftritten im Internet von Gesundheitseinrichtungen ignorierte Wirklichkeit im klinischen Alltag von Krankenhäusern und Praxen wieder: „Einen Höhepunkt meines persönlichen Frusts durfte ich anlässlich der erstmals 2005 stattgefundenen Zielvereinbarungsgespräche mit der Geschäftsführung erleben. Leider wurde bei diesen Gesprächen nichts vereinbart, sondern uns einseitig formuliert auferlegt, aufgehalst und aufgepackt. Dabei konnte ich lernen, dass meine Kernkompetenz als Leitender Arzt mit dem Begriff der „Patientenakquisition" beschrieben wird. Dies nicht nur ganz allgemein, sondern ganz konkret mit bestimmten Auflagen: eine 5- bis 10%ige Steigerung der stationären Patienten im Vergleich zum Vorjahr wurde erwartet".8
Es hat durchaus „gesellschaftliche Dimensionen“, wenn inzwischen selbst Ärzte mehr mit dem Überleben am Markt als mit dem Überleben ihrer Patienten befasst sind: „Ökonomen hatten jahrelang wegen ihrer berufsbedingt nüchternen, herzlosen Sichtweise auf das Gesundheitswesen keinen guten Ruf bei Ärzten. Doch nun eignen sich mehr und mehr Mediziner nebenher das Handwerkszeug der Betriebswirte an, weil das für Leitungspositionen in Kliniken gefordert wird. Und man bemerkt, wenn sie über ihre neuen Kenntnisse und deren Anwendung reden: Ärzte als Ökonomen sind nicht unbedingt Garanten einer humaneren Medizin. Ihre Kritik wird so zynisch vorgetragen, wie sie es den Besserwissern aus den Klinikverwaltungen früher immer vorgeworfen haben“.9
1 Schulte-Sasse U. Produktionsdruck im Operationssaal gefährdet Patienten. Anästh Intensivmed 2009;50:552-563
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(Mit freundlicher Genehmigung der Schriftleitung Anaesth Intensivmed)
2 Schulte-Sasse U. Produktionsdruck, (OP-) Manager-Boni,
strafrechtliche Verantwortung der patienten fernen
Entscheider (Leserbrief). Anästh Intensivmed 2010;51:295-300
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(Mit freundlicher Genehmigung der Schriftleitung Anaesth Intensivmed)
3 Gaba DM, Howard SK, Jump B. Production pressure in the work environment. Anesthesiology 1994; 81: 488-500
4 Eichhorn J. Patient safety and production pressure: academic practice. APSF Newsletter 2001; 16: No. 1.
5 Schiff GD. Fatal distraction: finance versus vigilance in U.S. hospitals. Int J Health Serv 2000; 30: 739-743
6 Maus J. Krankenhauseinweisungen: Fangprämie. Dt Ärztebl 2009; 106: B 1455
7 Der Kunde soll bezahlen. Warum wir den Beratern der Banken nicht mehr glauben können – der Erfahrungsbericht eines Insiders.
8 Storm W. Von Ärzten und Hampelmännern: Aus dem Abschiedsbrief eines Krankenhausarztes. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: B1723 -1724
9 Rieser S. Der Chef ist jetzt Ökonom. Dtsch Arztebl 2009; 106: B 104