


Delegation ärztlicher Leistungen – Beispiel: Narkosen durch Krankenschwestern 1,2,3,4,5
Ausführlich hierzu:
Neelmeier T., Schulte-Sasse U. (2012) Hypoxie durch Organisationsverschulden. Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 22:406–414
Zum Artikel
"Delegation ärztlicher Aufgaben auf nichtärztliches Personal [6].
Bei Sedierungen muss ein zweiter entsprechend ausgebildeter Arzt hinzugezogen werden, wie die Rechtsprechung unter Hinweis auf den Facharztstandard und die eindeutigen Herstellerangaben zu Propofol [71] entschieden hat21. Bei Vollnarkosen bedarf es eines Facharztes für Anästhesie [36]. Das Einsparpotenzial und auch die Gefahr schwerer Hypoxien sind gleichermaßen beträchtlich, wenn stattdessen Pflegepersonal eingesetzt wird [60, 67, 68]. Große Beachtung in Fachwelt und Öffentlichkeit fand in diesem Zusammenhang ein Fall aus Erfurt22. Auf der Leitungsebene einer großen privaten Krankenhausgesellschaft war entschieden worden, Narkosepfleger unternehmensintern als „Medizinische Assistenten für Anästhesie (MAFA)“ zu schulen und diese anstelle von Ärzten für die Narkoseführung einzusetzen. Dabei erlitt ein 18-jähriger Abiturient während einer HNO-Routineoperation einen Hypoxie bedingten schweren Hirnschaden. Ein Oberarzt hatte auf 3 Operationstischen ein großes OP-Programm mit einem Narkosepfleger und 2 Assistenzärzten mit nur wenigen Monaten Berufserfahrung bewältigen sollen. Nach massiven Protesten [18] wurde das „MAFA“-Programm gestoppt. Der BGH-Richter Greiner beschreibt die rechtliche Vorgabe, die von der Klinikleitung missachtet worden war [36]: „Narkosen erfordern grundsätzlich einen Facharzt für Anästhesie und entsprechende Anweisungen des Krankenhausträgers, dass auch im personellen Engpass die Narkose nur von einem ausgebildeten Anästhesisten geführt werden kann (BGH NJW 1993, 2990; 1985, 2191; 1983, 1375)“. Konsequenterweise kam die Staatsanwaltschaft Erfurt in ihren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass „der auf Leitungsebene der Klinik seinerzeit befürwortete und auch erfolgte Einsatz eines Medizinischen Assistenten für Anästhesie bei der Betreuung von Narkosen im vorliegenden Verfahren gut geeignet war, den Vorwurf eines strafrechtlich relevanten Handelns gegen die insoweit Verantwortlichen zu erheben“23. Nach Ansicht der Ermittler bedurfte es daher einer „genauen Prüfung, ob vorliegend eine patientengefährdende personelle Fehlbesetzung, verbunden mit fehlender Facharztkapazität ursächlich für die schwerwiegenden Folgen bei dem Patienten H. gewesen ist. Ein solcher Kausalzusammenhang lässt sich … jedoch nicht … nachweisen. [Der verantwortliche Oberarzt hat] nicht geäußert, dass er unter einem unüberwindbaren Zeitdruck gestanden hätte“. Bestraft wurde letztlich nur der Oberarzt, die Klinikgesellschaft stimmte jedoch nach jahrelangen Verhandlungen einem zivilgerichtlichen Vergleich über 2,8 Mio. Euro zu [72]."
Zitiert aus: Neelmeier T., Schulte-Sasse U. (2012) Hypoxie durch Organisationsverschulden. Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 22:406–414
Literaturfundstellen: siehe Original-Arbeit
1 DGAI und BDA. Ärztliche Kernkompetenz und Delegation in der Anästhesie. AINS 2007; 48: 764-765. „Die Anästhesieführung verlangt ständige Diagnose- und Therapieentscheidungen, für die spezifisch ärztlich-anästhesiologische Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen unabdingbar sind und die in fortlaufender, interdisziplinärer Abstimmung mit dem den Eingriff durchführenden Arzt erfolgt.
Diese Aufgaben gehören zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit und schließen eine Delegation aus.“
Zum Artikel
2 Prien T, Biermann E, Van Aken H (2007) Parallelverfahren in der Anästhesie. AINS 42: 62-66
3 Münsteraner Erklärung: Gemeinsame Stellungnahme des BDA und der DGAI zur Parallelnarkose. Anästh Intensivmed (2005) 46: 32-34
4 Andreas M. Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliches Personal. ArztR 2008; 43: 144-152
Zum Artikel
5 Spickhoff A, Seibl, M. Haftungsrechtliche Aspekte der Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Medizinpersonal unter besonderer Berücksichtigung der Anästhesie. MedR 2008; 26:463-473