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Patientenaufklärung über die Infrastruktur in einer Gesundheitseinrichtung

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Medizinrecht

Patientenaufklärung über die Infrastruktur in einer Gesundheitseinrichtung

Neelmeier, NJW 2013, 2230-2233: Die einrichtungsbezogene Patientenaufklärung:
„Bereits 1970 hielt der BGH den Krankenhausträger, der aus Gründen seiner sachlichen und personellen Mittel dem Hygienestandard nicht zu genügen vermag, für verpflichtet, dafür zu sorgen, dass „vor Vertragsabschluss unmissverständlich auf die beschränkten […] Verhältnisse des Krankenhauses hingewiesen“ wird.

34 BGH, NJW 1971, 241 (242).

Dieses Urteil zitierte der VI. Zivilsenat später als Beispiel für sein nun allgemein formuliertes obiter dictum, wonach „Krankenhausträger und Ärzte dem Patienten, der sich in das Krankenhaus begibt, Aufklärung über Umstände schulden, die das Risiko der Behandlung aus besonderen Gründen erhöhen“.

 

35 BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655. Beim unbeaufsichtigten Einsatz eines Berufsanfängers stehe zwar „im Vordergrund nicht die mangelnde Aufklärung“, sondern der Behandlungsfehler. Gleichwohl zieht der BGH (BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655 [657]) auch hier eine Informationspflicht zumindest durch den überforderten Arzt in Betracht

Selbst Notfallpatienten sind bei Verlegungsfähigkeit darüber aufzuklären, falls „eine ausreichende Versorgung und Behandlung im Einweisungskrankenhaus nicht gewährleistet ist“.

36 BGH, NJW 1982, 2121 (2123); NJW 1987, 2291 (2293).

„Wird im Zivilprozess eine fehlende oder fehlerhafte Aufklärung über eine relative Mangelausstattung der behandelnden Einrichtung gerügt, dann ist in Analogie zu § 630 e I 3 BGB eine sorgfältige Befragung der ärztlichen Sachverständigen insbesondere zu der Frage geboten, ob die für den konkreten Patienten gegebenenfalls erreichbare bessere Ausstattung einer anderen Einrichtung „zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen [hätte] führen können“. Der Vorwurf einer entsprechenden Pflichtverletzung trifft dabei nicht allein die behandelnden Ärzte. Nach Meinung des BGH schuldet auch der Krankenhausträger Aufklärung über einen „für die in Betracht kommenden ärztlichen Maßnahmen und die medizinische Versorgung im Vergleich zu anderen Krankenhäusern niedrigere[n] Standard“.

57 BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655. Weitergehend Hart, MedR 1999, 47 (48 f.), der sogar ausschließlich den Krankenhausträger für verpflichtet hält.

Aufklärung über die „personelle, fachliche oder sachliche Ausstattung für die Durchführung der Behandlung“

Weidenkaff W (2015) Kommentierung zu § 630e (Rn 2) BGB. In: Palandt O: Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen, 74. Aufl. Beck, München:
Aufzuklären ist insbesondere (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 02, 816): über die Diagnose; bzgl. der Behandlung über Art, Verlauf, Risiken ( Rn 3) und Heilungschancen (KG NJW-RR 04, 458), evtl Alternativen (I 3, Rn 6) und Dringlichkeit (BGH NJW 90, 2928, 97, 1637, OLG Stuttgart MedR 85, 175: Durchführbarkeit nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums); über Organisationsfragen, z.B. Notfallversorgung, Qualität der behandelnden Ärzte, medizinischer, personeller oder technischer Standard der Behandlung , insbesondere im Krankenhaus (BGH NJW 89, 2321; Neelmeier

1 Neelmeier T.: 12.08.2013: Die einrichtungsbezogene Patientenaufklärung; NJW 2013, 2230-2233

NJW 13, 2230, VersR 14, 715: Standardabweichung mit Risikoerhöhung), evtl. Einschränkungen aus finanziellen Gründen (Hart MedR 13, 159; aA Pflüger MedR 00, 6) nur, soweit sie sich medizinisch auswirken können (OLG Köln NJW 78, 1690, VersR 82, 453; siehe auch BGH NJW 88, 763, Neelmeier/Schulte-Sasse

2 Neelmeier T., Schulte-Sasse U.: Adverse Selektion medizinischer Leistungserbringer; Marktversagen infolge Informationsasymmetrie und Verantwortungsgefälle; GesundheitsRecht
Mit Genehmigung der Verlagsredaktion Dr. Otto Schmidt KG Köln Zum Artikel

GesundhR 12, 65, 13, 78).“

Weidenkaff W (2015) Kommentierung zu § 630a (Rn 12) BGB. In: Palandt O: Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen, 74. Aufl. Beck, München:
„Abweichende Vereinbarung (II Hs 2). Die Parteien können einen von den anerkannten fachlichen Standards abweichenden Behandlungsstandard vereinbaren. Dies beruht auf dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten innerhalb der Grenzen gem. § 138 BGB und § 228 StGB und der Therapiefreiheit des Behandelnden, die geeignete diagnostische oder therapeutische Methode auszuwählen. Darunter fallen die Verwendung nicht zugelassener Medikamente, neue Behandlungsmethoden, Außenseitermethoden und Heilversuche, d.h. die Anwendung einer neuen, klinisch noch nicht ausreichend erprobten Therapie, ferner medizinisch nicht indizierte Behandlungen, aber auch Behandlungen, bei denen der Standard unterschritten wird, z.B. i.R. der Zahnprothetik oder der Infrastruktur für Narkose oder Geburtshilfe. Zu den Voraussetzungen und den besonderen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Behandelnden Spickhoff/Greiner § 823 Rn 37 ff, Gehrlein B Rn 19, Bodenburg NJOZ 09, 2823; zur Aufklärungspflicht § 630 e Rn 2. Durch AGB kann der Behandelnde einen abweichenden Behandlungsstandard nicht zum Vertragsinhalt machen.“

Schönke/Schröder-Eser, StGB, 29. Aufl. 2014, § 223 Rn. 41d:
„Demgegenüber ist über eine standardwidrige Infrastruktur der Einrichtung aufzuklären (Neelmeier NJW 13, 2230).“

Patientensicherheit nach dem Patientenrechtegesetz.
Hart D (2013) MedR 31: 159-165:

  • „Meines Erachtens ist diese Art der Aufklärung Teil der Selbstbestimmungsaufklärung und vertragsrechtlich geschuldet.“
  • „Der Sache nach geht es in diesem Bereich insbesondere um Fragen der Qualität und Sicherheit der Behandlung und deren Organisation, also etwa um […] Qualität/Sicherheit des Behandlungsprozesses bei personeller, sachlicher oder fachlicher Unterausstattung (z.B. nicht ausreichende Besetzung …) […] bzw. mangelnder Eignung des Krankenhauses […] zur Durchführung der Behandlung.“
  • „Wer nicht über die notwendige personelle, fachliche oder sachliche Ausstattung für die Durchführung der Behandlung verfügt oder wessen Organisation des Behandlungsprozesses ungeeignet ist, diese Behandlung gefahrlos (Patientensicherheit) durchzuführen, ist m.E. ebenfalls dieser Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität ausgesetzt.“
  • „Befähigung des Behandelnden ist also nicht nur persönliche, sondern auch institutionelle Befähigung.“
  • „Fehlt es an dieser Voraussetzung, wirkt die Kausalitätsvermutung und der Behandelnde hat sich zu entlasten, also darzutun und zu beweisen, dass die mangelnde Befähigung für die Gesundheitsverletzung nicht ursächlich geworden ist.“

Beispiel: Aufklärung der Schwangeren über die Infrastruktur der geburtshilflichen Einrichtung: mehr Infos

Einrichtungsbezogene Patientenaufklärung in der Geburtshilfe

3 T.Neelmeier, U.Schulte-Sasse, J.W.Dudenhausen: Einrichtungsbezogene Patientenaufklärung in der Geburtshilfe; Gynäkologe 2014 47:443–447
Mit freundlicher Genehmigung der Technischen Redaktion Fachzeitschriften Springer Medizin Zum Artikel

„Einrichtungsträger und Geburtshelfer stehen rechtlich dafür ein, dass ihre Patientinnen vorab über alle Gefahrerhöhungen aufgeklärt werden, die sich aus Standardunterschreitungen insbesondere bei der Personalausstattung ergeben und im Aufklärungszeitpunkt bekannt sind bzw. sein müssen.“

„Die gleiche Pflicht sieht das Haftungsrecht vor im Hinblick auf die Ausstattungsunterschiede zwischen Einrichtungen verschiedener geburtshilflicher Versorgungsstufen, wenn sich diese für die konkrete Patientin medizinisch signifikant auswirken.“

„Angesichts der Unvorhersehbarkeit des „eiligen Kaiserschnitts“ ist Einrichtungsträgern zur Veranlassung einer eher großzügigen Aufklärungspraxis zu raten.“

Beispiel: Aufklärung der Patienten vor Sedierung mit Propofol

Patientenaufklärung: Vorsatzstrafbarkeit mangels Aufklärung über Substandardbehandlung

„Auf Ärzten lastet berufsbedingt das erhöhte Risiko einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit insbesondere durch ein Augenblicksversagen.Weiß der Arzt allerdings schon vor der Behandlung, dass diese standardwidrig erfolgen wird (z. B. infolge unzureichender Personalausstattung), dann droht ihm nach gefestigter Rechtsprechung des BGH eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wenn er den Patienten nicht über die entsprechende Risikoerhöhung gesondert aufklärt. Die Rechtsprechung hat in zwei Entscheidungen die Durchführung einer Sedierung ohne einen zweiten Arzt für standardwidrig erachtet. Der juristisch und medizinisch sichersteWeg einer Risikoprävention besteht aus unserer Sicht daher darin, „Zwei-Personen-Sedierungen“ abzulehnen.“

Zitiert aus: Neelmeier T, Patientenaufklärung: Vorsatzstrafbarkeit mangels Aufklärung über Substandardbehandlung
Endheu 2014; 27: 167–169
Mit freundlicher Genehmigung des Thieme-Verlages
Zum Artikel

Die Analyse aus Sicht des Juristen
Rechtsanwalt Rolf-Werner Bock (2013) Anästh Intensivmed 54: 218-221:

  • „Eine Einwilligung ist nur wirksam, wenn der Patient die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt, mithin weiss, „in was“ er einwilligt.“

Ärztliche Aufklärung vor Geburt.
Ulsenheimer K (1998) Gynäkologe 31: 799-805:

  • „Die Aufklärung ist eine „Bringschuld“ des Arztes, d.h. der Geburtshelfer muß, soweit die Patientin einwilligungsfähig ist, ihr das nötige Wissen und die nötigen Kenntnisse vermitteln, damit sie eine freie, eigenverantwortliche Entscheidung für sich und das Kind treffen kann.“