loading

Ambulantes Operieren – defizitäre Organisationsstrukturen

[rmp_menu id=“19571″]

Defizitäre Organisationsstrukturen

Ambulantes Operieren – defizitäre Organisationsstrukturen

22.12.2021
Ambulante Operationen
hessenschau | Tödliche Komplikationen bei Narkosen von Kindern: Liegt der Fehler im System?
Zum Artikel

19.2.2022
Tod nach Vollnarkose
Kölner Stadtanzeiger  | „Mama, wenn ich gleich schlafe, bekomme ich eh alles mit!“
Zum Artikel

22.3.2023
Anklage gegen zwei Ärzte nach Tod eines dreijährigen Jungen in Kassel erhoben
hna | Laut Staatsanwaltschaft sind die beiden Ärzte für den Tod eines dreijährigen Jungen verantwortlich.
Zum Artikel

22.03.2023
Sind Vollnarkosen bei Zahnärzten für Kinder zu riskant?
faz.net | Vollnarkosen bergen kleine, aber existenzielle Risiken – für Kinder besonders.
Zum Artikel

23.11.2012
Ambulantes Operieren – Lebensgefahr in der Arztpraxis
spiegel.de | Ob Zahn-OP, Gelenkspülung oder Polypen-Entfernung: Immer mehr Eingriffe werden in Arztpraxen durchgeführt. Die Qualität der Praxis-Narkosen wird nicht kontrolliert. Eine tödliche Gefahr, warnen Experten.
Zum Artikel

08.06.2012
Vollnarkosen bei Kindern: „Praxen missachten oft medizinische Standards“
stern.de | Tod auf dem Zahnarztstuhl
Zum Artikel

04.06.2012
Ambulante Zahnoperationen: „Experten kritisieren eine Billiganästhesie – gerade bei ambulanten Zahnoperationen würden fachliche Standards nicht eingehalten.“
spiegel.de | Vollnarkose für Kinder besonders riskant
Zum Artikel

„Fatale Tendenz in der Praxis ambulanten Operierens Kostenfaktoren‘ zu reduzieren, auch wenn dies mit erkennbaren Risiken für Leib und Leben der behandelten Patienten verbunden ist“

Neelmeier T, Schulte-Sasse U (Rechtsmedizin 2012): „In der forensischen Praxis ist zu beobachten, dass sich defizitäre Organisationsstrukturen vergleichsweise häufig in anästhesiologischen Komplikationen konkretisieren. Die Anästhesie ist von der Markttransformation des Gesundheitswesens besonders betroffen, weil sie im Kern ein Sicherheitsdienstleister ist, der anderen Fächern die Stellung erlöswirksamer Eingriffsindikationen ermöglicht, selbst jedoch als Kostenfaktor einen beliebten Ansatzpunkt für Sparmaßnahmen darstellt.“

Die Sicherheit des Patienten erfordert es, dass neben dem Narkosearzt – Personalkosten verursachend – anästhesiologisch geschultes Assistenzpersonal bei und nach der Versorgung von operativen Patienten in Vollnarkose tätig wird: Der Fachverband der Narkoseärzte hierzu [DGAI/BDA Entschließungen, Empfehlungen Vereinbarungen]:

„Das Anästhesieverfahren hat dem Facharztstandard zu entsprechen; dies gilt auch für die postoperative Betreuung. Es ist speziell eingearbeitetes Assistenzpersonal mit ausreichender Qualifikation in ausreichender Zahl erforderlich.“

Konkret bedeutet dies:
1. „Anästhesieschwester“: Eine speziell qualifizierte Fachpflegekraft unterstützt den Narkosearzt bei Einleitung und Ausleitung der Narkose und muss jederzeit während des Eingriffs zur Unterstützung – sofort – zugezogen werden können.
2. „Aufwachraumschwester“: Anästhesiologisch geschultes Assistenzpersonal ist jedoch nicht nur während des Eingriffs unverzichtbar. Eine weitere anästhesiologisch geschulte, speziell qualifizierte Fachpflegekraft muss die Patienten im Aufwachraum versorgen:

Nach einer Operation in Vollnarkose ist der Patient seit Jahrzehnten bekannten Gefahren ausgesetzt – so drohen hier insbesondere Atemdepression, Atemwegsverlegung, Atemstillstand. Damit diese typischen Risiken sich nicht in schwerster Sauerstoffmangelschädigung (hypoxischer Hirnschaden) und Tod verwirklichen, muss jeder Patient – ob im Krankenhaus oder in einer Arztpraxis – im Anschluss an eine Operation in Vollnarkose von einer speziell qualifizierten Pflegekraft (auf dem Niveau des „Fachpflegstandard“, eine Qualifikation, über die eine Praxishelferin typischerweise nicht verfügt) in einem apparativ speziell ausgestatteten Aufwachraum, kontinuierlich, lückenlos überwacht werden, solange „bis er wieder im Vollbesitz seiner Schutzreflexe und kooperativ, zeitlich und örtlich orientiert ist und von Seiten der Vigilanz, der Atmung und des Kreislaufs keine Komplikationen zu erwarten sind.“ [DGAI/BDA Entschließungen, Empfehlungen Vereinbarungen]

Die Personalkosten für die anästhesiologisch geschulte Fachpflegekraft im Operationssaal fallen nicht an, wenn der Narkosearzt allein arbeitet; die Personalkosten für die anästhesiologisch geschulte Fachpflegekraft fallen ebenfalls nicht an, sie werden eingespart – wenn die Überwachung im Aufwachraum – an medizinische Laien – wie Eltern oder Angehörige – übertragen wird. Solche Personalkosten sparenden, die Vorgaben der Fachverbände verletzenden Organisationsstrukturen wurden für die Patienten bzw. ihre Angehörigen erst im Zusammenhang schwerster Patientenschädigung und Todesfällen sichtbar.

Hierzu wurde auf dem Medizinstrafrechtstag des Deutschen Anwaltvereins [Lindemann 2012]

2 Lindemann M. (2012) Das Bild des Arztes in der neueren strafgerichtlichen Rechtsprechung, 9–30. In: AG MedizinR im DAV/IMR Düsseldorf (Hrsg.) Brennpunkte des Arztstrafrechts. Nomos, Baden-Baden

besorgt berichtet über „eine fatale Tendenz in der Praxis ambulanten Operierens […], die mit einer adäquaten anästhesiologischen Versorgung verbundenen ‚Kostenfaktoren‘ zu reduzieren, auch wenn dies mit erkennbaren Risiken für Leib und Leben der behandelten Patienten verbunden ist.“ Besondere Beachtung in diesem Zusammenhang fand ein Fall aus Hessen, in dem neben dem Anästhesisten auch der operierende Zahnarzt wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde: Das Amtsgericht Limburg a.d. Lahn verurteilte am 25.03.2011 den Anästhesisten zu einem Jahr und sechs Monaten sowie den Zahnarzt zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung gem.§ 222 StGB. Nach Berufungshauptverhandlung wurde das Verfahren eingestellt gem. § 153a StPO gegen Geldauflagen von jeweils € 20.000,- für beide Angeklagten aufgrund Beweisunsicherheiten bei der Kausalität der Pflichtverletzungen (Wetzlarer Neue Zeitung v. 12.05.2012)

3 Wetzlarer Neue Zeitung (12.05.2012) S. 17 Zum Artikel

Ausführlich hierzu:
Neelmeier T., Schulte-Sasse U. (2012) Hypoxie durch Organisationsverschulden – Forensische Begutachtung von Führungsverhalten in Gesundheitseinrichtungen. Rechtsmedizin 22: 406-413
Zum Artikel

AG Limburg a. d. Lahn: Urt. v. 25.03.2011 – 3 Js 7075/08 – 52 Ls, ArztR 2011; 46: 232-239
Zum Urteil

Neelmeier T. (2011) Bin ich meines Kollegen Hüter? Strafbarkeit von Arztpraxisinhabern bei „Einkauf“ von Billig-Anästhesie. ArztR 46: 256-264
Zum Artikel

Hey HW (2012) Tod durch Rationalisierung. Forum für Zahnheilkunde 31: 4

Schulte-Sasse U., Neelmeier T. (2013) Strafbarkeit von Zahnärzten für anästhesiologische Komplikationen. Vertrauen ist gut, Vereinbarungen sind besser. NZB 48(1): 42-46
Zum Artikel     Zum Literaturverzeichnis